Grün dokumentiert (Teil 3) – Landrat Lederer soll Tempo 30 für Staatsstraße 2089 erneut prüfen

Oberaudorf / Rosenheim — Jürgen Schwab aus Oberaudorf hat das Landratsamt Rosenheim am 23. Juni 2022 per E-Mail gefragt, wann auf Staatsstraße 2089 ein Tempolimit von 30 km/h eingeführt wird. Rosenheims Landrat Otto Lederer (CSU) hat in seiner elektronischen Antwort am 3. August 2022 einerseits auf den Bundesverordnungsgeber verwiesen, andererseits die Funktion der Staatsstraße 2089 als Hauptverkehrsstraße mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erklärt. Jürgen Schwab antwotete, die Rechtslage habe sich mittlerweile geändert und Lederer möge diese Veränderung in der StVO berücksichtigen sowie die notwendigen Schritte einleiten. Wir dokumentieren den Wortlaut.

Landrat Otto Lederer sieht in der ⭱ Nachfrage des Oberaudorfers Jürgen Schwab vom 23. Juni 2022 „zwei sehr unterschiedlichen Anliegen an mich. Zum einen geht es Ihnen um die generelle Einführung von Tempo 30 in Ortsdurchfahrten. Zum anderen geht es konkret um die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung oder einer Rechts-vor-Links-Regelung in der Ortsdurchfahrt Oberaudorf. Bezüglich einer generellen Einführung von Tempo 30 in Ortsdurchfahrten gilt weiterhin, dass „es die Rechtslage nicht hergibt“. Grundlage für die verkehrsrechtlichen Regelungen ist die Straßenverkehrs-Ordnung. Dabei handelt es sich um ein Regelwerk des Bundes, das auch nur vom Bundesverordnungsgeber geändert werden kann. Das Landratsamt als nachgeordnete Verwaltungsbehörde ist an die geltenden Gesetze und Verordnungen des Bundes gebunden.

Vor diesem Hintergrund sind die von Ihnen angeregten verkehrsrechtlichen Anordnungen auch nur dann möglich, wenn im konkreten Fall die Voraussetzungen der StVO dafür vorliegen. Eine entsprechende Überprüfung hat dabei zu folgendem Ergebnis geführt: Bei der Staatsstraße 2089 handelt es sich um eine Straße, die zusammen mit den weiteren Bundes-, Staats- und Kreisstraßen ein durchgängiges Straßennetz bildet, das insbesondere dem überörtlichen Verkehr dient. Diese Straßen haben die Funktion einer Hauptverkehrsstraße, die gesetzlich dazu bestimmt sind, den überörtlichen Verkehr innerhalb des Landkreises, den Verkehr zwischen den benachbarten Landkreisen oder den erforderlichen Anschluss der Gemeinden an das überörtliche Verkehrsnetz sicherzustellen. Im Zuge der Ortsdurchfahrt von Oberaudorf beträgt die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dieser Straße im innerörtlichen Bereich 50 km/h. Mit erhöhtem Verkehrsaufkommen ist auf dieser Art von Straßen zu bestimmten Zeiten immer zu rechnen. Nach den DTV-Werten (= die durchschnittliche tägliche Verkehrsbelastung) von 2019 liegen die Verkehrszahlen auf der St 2089 an zwei verschiedenen Messstellen im Bereich von Oberaudorf mit 4.223 und Schwerverkehr 105 bzw. 5.011 und Schwerverkehr 75 Fahrzeugen. Damit gehört die St 2089 im Bereich von Oberaudorf zu den nicht so stark befahrenen Staatsstraßen im Landkreis Rosenheim. Zudem ist der Bereich der Ortsdurchfahrt von Oberaudorf vom Unfallgeschehen her unauffällig. Er tritt derzeit weder als Unfallhäufungspunkt, noch als Unfallhäufungslinie in Erscheinung.

Im Ergebnis muss ich Ihnen somit leider mitteilen, dass nach den geltenden Regelungen der Straßenverkehrs-Ordnung die Voraussetzungen für eine Geschwindigkeitsreduzierung in der Ortsdurchfahrt von Oberaudorf im Zuge der St 2089 nicht vorliegen. Dies gilt ebenso für eine Änderung der Vorfahrtsregelung („rechts vor links“). Von Seiten der Unteren Straßenverkehrsbehörde des Landratsamtes Rosenheim besteht daher keine Möglichkeit in dem genannten Bereich der St 2089 (Ortsdurchfahrt Oberaudorf) eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h anzuordnen oder eine Änderung der Vorfahrtsregelung einzuführen. Ich bitte hierfür um Ihr Verständnis.“

Reechtsgrundlage verändert

Jürgen Schwab antwortete am 3. August, mittlerweile „hat sich aber die Rechtsgrundlage gemäß § 45 StVO geändert“.

„Rechtsgrundlage:

§ 45 (9) 6 StVO. Erlaubt werden die ‚innerörtlichen streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkungen von 30 km/h […] auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) oder auf weiteren Vorfahrtstraßen […] im unmittelbaren Bereich von an diesen Straßen gelegenen Kindergärten, Kindertagesstätten, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen, Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern.‘

Ende 2016 hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die neue Rechtsnorm § 45 (9) 6 StVO zur Geschwindigkeitsbeschränkung verabschiedet (1). Mussten bisher immer Gründe des Lärmschutzes oder der Nachweis eines Unfallschwerpunktes aufgeführt werden, um eine Reduzierung der Geschwindigkeit an Hauptverkehrsabschnitten vornehmen zu können (2), gilt seit der Änderung der Rechtsnorm § 45 StVO vor sozialen Einrichtungen die Regelgeschwindigkeit 30 km/h. Durch Umkehr des Regelfalls wird Tempo 50 hier zur begründeten Ausnahme. Durch die Änderung der StVO wurde somit die Möglichkeit geschaffen, die Bevölkerung an aufgeführten Einrichtungen auch präventiv zu schützen, ohne dass zuvor Unfälle geschehen mussten.

Umsetzung der Möglichkeit in Kommunen

Knapp zwei Jahre nach in Kraft treten des § 45 (9) 6 StVO, hat sich der Fachverband Fußverkehr bei Kommunen in Deutschland umgehört, wie es um die Umsetzung des Paragraphen in der Praxis steht. 500 Kommunen wurden angeschrieben, von denen uns 107 Gemeinden und Städte bereitwillig Auskunft erteilten. Dabei ging es um die Beantwortung der Fragen, ob eine Umsetzung bereits stattgefunden hat, welche Schwierigkeiten zu erkennen oder befürchten sind, welche Auswirkungen die Umsetzung auf das Verkehrsgeschehen hat und ob weitere Erleichterungen vom Gesetzgeber gefordert werden.

Gut die Hälfte (54 %) aller befragten Kommunen haben die neu geschaffene Möglichkeit genutzt und Geschwindigkeitsreduzierungen aufgrund der neuen Rechtsgrundlage § 45 (9) 6 StVO in mindestens einem Fall umsetzen können. Überwiegend erfolgte diese vor Schulen und Kitas. Die Bereitschaft oder gesehene Notwendigkeit zum Schutz von Kindern überwiegt somit gegenüber anderen Gruppen besonders schützenswerter Verkehrsteilnehmer und -teilnehmer­innen. Nach der Verwaltungsvorschrift zum § 45 (9) 6 StVO sind die Geschwindigkeitsbegrenzungen ‚soweit Öffnungszeiten (einschließlich Nach- und Nebennutzungen) festgelegt wurden, auf diese zu beschränken.‘ Die Anordnung wurde vor einigen Bildungseinrichtungen umgesetzt, wodurch Ferienzeiten und Abend- sowie Nachtstunden von der Tempo 30-Regelung ausgenommen sind.

In jedem Fall bedarf es aufgrund der Rechtslage einer Einzelfallprüfung. Jede sechste Gemeinde untersucht aktuell noch mindestens einen Streckenabschnitt oder befindet sich in der Planungsphase zur Umsetzung. Verantwortliche Gründe, weshalb bei 40 % bislang keine Umsetzung der neuen Regelung vorgenommen wurde, sahen betroffene Kommunen in der fehlenden Notwendigkeit oder in unzureichenden Voraussetzungen. Unter anderem wurde aufgeführt, dass dem Verkehrsfluss Rechnung getragen werden muss und eine Beschilderung an einigen Stellen unvertretbare Behinderungen des fließenden Verkehrs nach sich ziehen würde.

Knapp die Hälfte (44 %) der betroffenen Kommunen gab als Begründung an, dass bei einem Großteil der Einrichtungen bereits eine Temporeduzierung auf 30 km/h vorliege, wobei diese nur selten an das klassifizierte Straßennetz angebunden seien, sondern sich in Nebenstraßen, vorwiegend in Tempo 30-Zonen befänden. Wie mehrere Städte berichteten, hat das Land Nordrhein-Westfalen bereits vor der StVO-Änderung Tempo 30-Abschnitte zum Schutz von Kindern unterstützt, ebenso wie Mecklenburg-Vorpommern. Ersteres hat ‚mit einem Erlass aus dem Oktober 2014 die Straßenverkehrsbehörden sensibilisiert, dass gemäß Artikel 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention die Interessen von Kindern bei Entscheidungen über die zulässige Höchstgeschwindigkeit hoch zu gewichten seien.‘ Mit der neuen Rechtsgrundlage der StVO wurde das Vorgehen auf Bundesebene bestätigt und der Handlungsspielraum diesbezüglich erweitert.

Herausforderungen bei der Umsetzung

Rund ein Drittel (34 %) der Kommunen gab in der Befragung an, keine Schwierigkeiten bei der Umsetzung gehabt zu haben, wohingegen jede fünfte Kommune (20 %) Probleme zu bewältigen hatte bzw. hat:

In der Umfrage wurde deutlich, dass Zuständigkeiten zur Anordnung der Maßnahme nicht einheitlich geregelt sind und häufig Abstimmungsaufwand und Kooperationsgeschick erfordern. Meist untersteht die Straßenverkehrsbehörde direkt den Kommunen, manchmal auch den Landkreisen oder dem Land und somit deren Zustimmungspflicht. Einige Länder haben zusätzlich restriktive Verwaltungsvorschriften erlassen, welche von einer Kreisstadt in Niedersachsen als weitere Einschränkung wahrgenommen wurden. Fehlende finanzielle und personelle Ressourcen behindern zusätzlich ein zeitnahes Handeln in einigen Kommunen. Bürokratische Abläufe und Vorgaben erschweren somit das Umsetzen der Maßnahme unnötigerweise.

Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen stellt eine wiederkehrende Herausforderung dar, unter anderem auch in der Interpretation der neuen Verwaltungsvorschrift zum § 45 (9) 6 StVO. Ein vermehrtes Problem war dabei die unklare Auslegung der Formulierung ‚soweit die Einrichtungen über einen direkten Zugang zur Straße verfügen‘. Eine Großstadt in Hessen stellte sich hierbei die berechtigte Frage, ob dieser „direkte Zugang“ auch der hauptsächlich genutzte sein muss. Des Weiteren wurde die Forderung, ‚in die Gesamtabwägung […] die Größe der Einrichtung […] einzubeziehen‘ als zu ungenau erachtet, da hierzu keine genaueren Angaben oder Stellungnahmen des Gesetzgebers vorliegen. Im Zweifel gibt es aufgrund solcher Unklarheiten dann keine Geschwindigkeitsbeschränkung.

Die Kommunikation mit der Bevölkerung stellte sich als nicht minder schwer heraus. Während vereinzelt Kommunen mit den Beschwerden und Protesten der Autofahrerinnen und Autofahrer zu kämpfen hatten, mussten andere Kommunen der Bewohnerschaft erklären, warum eine Umsetzung der Geschwindigkeitsbeschränkung nicht an allen Stellen möglich ist oder zeitlich bzw. räumlich begrenzt werden muss. In einer mittelgroßen Stadt des Rhein-Main-Gebietes kam es zu der unerwarteten Situation, dass auf Ansuchen einiger Bürger und Bürgerinnen bereits vorhandene Tempo 30-Abschnitte an Hauptverkehrsstraßen ergänzt werden sollten, diese bei einer Prüfung jedoch für rechtswidrig erklärt wurden und somit aufgehoben werden mussten, was berechtigterweise auf breites Unverständnis in der Bevölkerung stieß.

Eine Herausforderung aufgrund der Geschwindigkeitsreduzierung sahen drei Städte in massiven Auswirkungen auf den öffentlichen Personennahverkehr, unter anderem durch verlängerte Fahrtzeiten. Eine Kommune im Südwesten äußerte die Problematik, dass Rettungsfahrzeuge bei (mit-)verschuldeten Unfällen auf Tempo 30 Strecken stärker haften müssen als auf 50 km/h- Strecken. Die Begrenzung ‚insgesamt auf höchstens 300 m Länge‘ der streckenbezogenen Tempo 30 Anordnung wurde ebenfalls als Erschwernis erachtet, da es hierbei zu einem ‚Flickenteppich‘ von Tempo 30 und Tempo 50 Abschnitten kommen kann, was ein Hindernis für die Sicherheit und den Verkehrsfluss darstellen würde. Ein weiteres Problem wurde in der Gefahr eines Schilderwaldes gesehen durch schnell wechselnde Geschwindigkeitsbeschränkungen und gegebenenfalls Zusatzzeichen, welcher eine Verwirrung der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer zur Folge hätte.

Ich bitte Sie als gewählter Landrat diese Veränderung im StVO zu berücksichtigen und die notwendigen Schritte einzuleiten.“